Farbensteine

Yehoshua Lakner: Piano Works from Six Decades. Tomas Bächli, Petra Ronner.
Guild Music GMCD 7214
Noten: SME/EMS, Luzern; Israel Music Institute, Tel Aviv;
Yehoshua Lakner wird am 24. April 2003 neunundsiebzig Jahre alt. Aus der Geburtsstadt Bratislava mußte er siebzehnjährig fliehen; Sehnsucht und Hoffnung seiner Generation gehörten zu den Fundamenten des jungen Israel. Und wie Else Lasker-Schüler hat auch er dem Frieden, der aus dem Verstehen des Anderen kommt, eine Stimme in seinem Werk gegeben, so im Chorstück "Mohammeds Traum", das Gary Bertini 1968 in Jerusalem uraufführte.

Der Pianist Tomas Bächli, dessen schatzgräberische Gesprächskonzerte neue, unbekannte und vergessene Musik ans Licht holen, interpretiert Lakners Klavierwerke als Balanceakt eines weisen homo ludens zwischen Impulsivität und bedachtsamem Innehalten. Sorgsam reagieren Ohr und Hand aufeinander, wollen aufspüren, ertasten, entlocken, Farbiges aus dem Klangbaum schütteln, aus dem Klangstein schürfen, ehe es verlischt. Skeptisch gegen starre Ordnungen, schlägt der Komponist uns vor, die Stücke in variabler Folge zu hören, auf daß Altes und Neues, Kleines und Großes einander erhellen. Aber nicht nur zum Hören, auch zum Begreifen mit den Fingern sei diese Musik empfohlen: die neunzehn "Cornerstones" mit den unerwartet melancholisch aufblickenden Schlußwendungen wären eine Zierde für jeden pianistischen Elementarunterricht.Über die Märchenabenteuer der "Kleinen Klavierstücke" von 1947, die lakonischen Minutenrezitative der "Fünf Geburtstage" und das prüfende Aushorchen der "Fermaten" führt der Gradus ad Parnassum: zur Formenfreiheit der "Kreise und Signale" für Klavier-Duo - Tomas Bächli und die sensible Kollegin Petra Ronner bieten zwei verschiedene Versionen - und zur prächtig punktiert gestoßenen Fanfare auf die Schönheit des hebräischen Alphabets, zum Solo "Alef, Beth, Gimmel" von 1992.

Seitdem schrieb Lakner nichts mehr für Klavier. Sein Interesse gilt heute einer elektronischen Kunst, welche auf den Ebenen des Hörens und Sehens zugleich die verrinnende Zeit gestaltet. Abstrakte Bilder bewegen und ändern sich nach musikalischen Gesetzen; Klang verliebt sich ins Augenspiel. Er macht sich kleine bunte Teppiche aus Licht und fliegt auf ihnen davon.

MICHAEL HERRSCHEL

Siehe auch: Logo: neue Musikzeitung